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Wegen Kontakten zur HDJ AfD-Vorstand schließt Kalbitz aus Partei aus

Der AfD-Bundesvorstand ist einem Antrag des Co-Parteichefs Jörg Meuthen gefolgt - und hat den Brandenburger AfD-Landeschef Andreas Kalbitz aus der Partei geworfen.
AfD-Politiker Andreas Kalbitz: Mitgliedschaft mit "sofortiger Wirkung" aufgehoben

AfD-Politiker Andreas Kalbitz: Mitgliedschaft mit "sofortiger Wirkung" aufgehoben

Foto: Michael Sohn/ AP

Es ist eine drastische Maßnahme, die kaum jemand so schnell - und überhaupt - erwartet hatte: Der Brandenburger AfD-Landes- und Fraktionschef Andreas Kalbitz muss die AfD verlassen. Seine Mitgliedschaft wurde "mit sofortiger Wirkung" aufgehoben. Das beschloss der Bundesvorstand der Partei auf einer Sitzung am Freitag in Berlin.

Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus: Mit 7 zu 5 Stimmen bei einer Enthaltung, wie der SPIEGEL erfuhr.

Die Begründung laute, Kalbitz habe seine "Mitgliedschaft" in der HDJ verschwiegen. Zudem habe er bei seinem Eintritt in die AfD nicht seine frühere Mitgliedschaft in der Partei "Die Republikaner" angegeben. Kalbitz sei "Ende 1993/Anfang 1994" Mitglied bei "Die Republikaner" gewesen, die "seit Ende 1992 bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet und in den Verfassungsschutzberichten jahrelang aufgeführt wurden", heißt es in dem Vorstandsbeschluss wörtlich.

Kalbitz, selbst Mitglied des Gremiums, hatte kürzlich in einem Bericht an den AfD-Bundesvorstand eingeräumt, möglicherweise auf einer "Interessenten- oder Kontaktliste" der verbotenen, neonazistischen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) geführt worden zu sein.

Chrupalla und Weidel wollten Rechtsgutachten abwarten

Co-Parteichef Jörg Meuthen hatte für die heutige Sitzung einen eigenen Antrag für eine Beschlussfassung auf die Tagesordnung setzen lassen, zur "Aufhebung der Parteimitgliedschaft von A. Kalbitz", wie es wörtlich darin heißt.

Dagegen hatten Co-Parteichef Tino Chrupalla und AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel einen Beschlussantrag formuliert, der vorsah, dass zunächst ein Rechtsgutachten über den Fall Kalbitz erstellt und das auf der nächsten Telefonschalte des Vorstands am 25. Mai behandelt werden sollte. Dieses Gutachten sollte Klarheit für das weitere Vorgehen schaffen.

Die neonazistische HDJ, die 2009 vom Bundesinnenministerium verboten wurde, steht auf einer Unvereinbarkeitsliste der AfD. Hinzu kommt: Sollte Kalbitz Mitglied der rechtsextremen Organisation gewesen sein, hätte er nach den Statuten der AfD gar nicht erst in die Partei aufgenommen werden dürfen. 

Kalbitz, der zusammen mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke über mehrere Jahre die treibende Kraft hinter dem vom Verfassungsschutz mittlerweile als rechtsextrem eingestuften "Flügel"-Netzwerk war, war in diesem Frühjahr weiter in Bedrängnis geraten. Im März hatte der SPIEGEL aus einem Gutachten des Verfassungsschutzes zitiert. Der Behörde liegt demnach eine Mitgliederliste der HDJ von 2007 vor, in der eine "Familie Andreas Kalbitz" aufgeführt wird - samt Mitgliedsnummer.

Zuvor versuchten Kalbitz-Anhänger zu mobilisieren

Dem Ausschluss von Kalbitz waren am Freitag hektische Aktivitäten seiner Anhänger vorausgegangen. So hatte die dem ehemaligen "Flügel"-Netzwerk nahestehende Gruppe "Stuttgarter Aufruf" in der Nacht zum Freitag ein internes Rundschreiben versendet, in dem der Bundesvorstand aufgefordert wurde, sich mit einem Parteiausschlussverfahren gegen Co-Parteichef Meuthen zu beschäftigen. Sie warfen ihm einen "Totalausfall" vor, der "bis heute nicht einen einzigen positiven politischen Impuls für die Partei gesetzt" habe. Nun schwäche er die Partei erneut, "indem er einen der erfolgreichsten Politiker 'vor die Tür setzen'" wolle, hieß es mit Blick auf Kalbitz.

Auch andere AfD-Politiker schlugen sich am Freitag, bevor die Abstimmung erfolgt war, auf die Seite von Kalbitz. "Andreas Kalbitz ist einer unserer erfolgreichsten Wahlkämpfer", sagte der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Siegbert Droese der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb wäre es falsch, auf ihn zu verzichten. Angesichts der Corona-Pandemie sei es bedauerlich, "dass wir uns in dieser schwierigen Phase so stark mit uns selbst beschäftigen".

Der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Oliver Kirchner, schrieb bei Facebook: "Wer ernsthaft in Erwägung zieht, Andreas Kalbitz aus der Partei zu entfernen, entfernt dieser Partei das Rückgrat und den Schneid, den diese Partei so dringend nötig hat."

Ein Ausgang, mit dem kaum jemand rechnete

Die jetzige Aufhebung der Mitgliedschaft ist der auch in weiten Teilen der AfD unerwartete Höhepunkt eines Machtkampfs. Nachdem der Verfassungsschutz den "Flügel" für rechtsextrem erklärt hatte, wurde in einer stürmischen Sitzung Mitte März im AfD-Bundesvorstand die Auflösung des Netzwerks verlangt. Auch wurde Kalbitz auf derselben Sitzung aufgefordert, eine Liste der politischen Organisationen und Vereinigungen vorzulegen, in denen er Mitglied gewesen ist oder mit denen er in Kontakt gestanden hat. Auch auf dieser Sitzung war Meuthen eine treibende Kraft gewesen.

Meuthen, der einst selbst als Gast bei "Flügel"-Veranstaltungen aufgetreten war, ist mittlerweile zum Gegner von Kalbitz und Höcke geworden. Die Auflösungsforderung des Netzwerks hatte einst Meuthen vorgebracht, wenig später brachte er in einem Interview sogar die Bildung einer eigenen Partei durch die "Flügel"-Anhänger ins Spiel. Der Bundesvorstand verwies Meuthen jedoch noch im April in die Schranken, dieser versprach, die Idee für eine Abspaltung nicht weiterzuverfolgen.

Kalbitz will alle "juristischen Möglichkeiten nutzen"

An diesem 15. Mai allerdings hat Meuthen im Bundesvorstand eine Mehrheit für den Ausschluss von Kalbitz zustande gebracht. "Es könnte richtig rund gehen", hieß es noch am Donnerstag aus der AfD gegenüber dem SPIEGEL.

Dass es diesen für die AfD spektakulären Ausgang nehmen würde, hatten jedoch selbst Kenner nicht erwartet.

Kalbitz selbst erklärte am frühen Abend gegenüber dem SPIEGEL in einer SMS, er bedaure diese Entscheidung, mit der sich Teile des Bundesvorstands zu "Erfüllungsgehilfen des politischen Gegners und des als Regierungsschutz fungierenden Verfassungsschutzes" gemacht hätten. Er werde "alle juristischen Möglichkeiten nutzen, um diese aus meiner Sicht politische Fehlentscheidung anzufechten". Wenn dieser Entscheidung die Idee zugrunde liegen sollte, die Akzeptanz der etablierten Parteien und politischen Gegner zu erheischen, werde "dies nicht gelingen".