Joseph Ratzinger und die Realpräsenz - eine Teilantwort an @sedisvakanz
Ich habe das ganze Werkchen Ratzingers, dem @sedisvakanz das Zitat, das seine Behauptung untermauern soll, entnommen hat, aufmerksam gelesen, um zu begreifen, auf was Ratzinger mit seinen im typischen Theologendeutsch der 1960er Jahre gehaltenen Ausführungen hinaus will. Da mir manches davon noch nicht klar geworden ist, beschränke ich mich vorerst auf einen einzigen – aber sehr wichtigen! – Punkt.
Ratzinger schreibt:
„Eucharistische Anbetung oder stille Besuchung in der Kirche kann sinnvollerweise nicht einfach Unterhaltung mit dem lokal zirkumskriptiv präsent gedachten Gott sein. Aussagen wie „Hier wohnt Gott“ und das auf solche Weise begründete Gespräch mit dem lokal gedachten Gott drücken eine Verkennung des christologischen Geheimnisses wie des Gottesbegriffes aus, die den denkenden und um die Allgegenwart Gottes wissenden Menschen notwendig abstößt.“
(Joseph Ratzinger, Die sakramentale Begründung christlicher Existenz. Meitingen – Freising: Kyrios-Verlag GmbH, 1966, S. 24)
Wie mir scheint, kommt bezüglich dieses Abschnitts alles darauf an, was genau der Ausdruck „lokal zirkumskriptiv“ bedeutet. Und damit ich mich nicht dem Vorwurf aussetze, einer mehr oder weniger subjektiven Auffassung dieses Ausdrucks zu folgen, zitiere ich dazu das bekannte „Thomas-Lexikon“ von Ludwig Schütz:
„circumscriptive = nach Weise oder im Sinne einer Umgrenzung, bei welcher die Teile der Umgrenzung mit denen des Umgrenzten so korrespondieren, dass letztere durch erstere gemessen werden, der Gegensatz zu definitive.“
(Ludwig Schütz, Thomas-Lexikon. Zweite, sehr vergrößerte Auflage. Paderborn: Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh, 1895, S. 115–116)
Und hier der Eintrag im selben Lexikon zum Gegenteil von „circumscriptive“:
„definitive s. diffinitive = a) nach Weise oder im Sinne der Abgrenzung, der Begrenzung, der Umgrenzung, der Einfriedigung, bei welcher die Teile des Eingeschlossenen denen seiner Umgrenzung nicht entsprechen und deshalb von letztern auch nicht gemessen werden können, das Gegenteil von circumscriptive.“
(Ludwig Schütz, Thomas-Lexikon. Zweite, sehr vergrößerte Auflage. Paderborn: Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh, 1895, S. 210)
Thomas von Aquin sagt nun in seiner Summa Theologiae (III, q. 76, a. 5, ad 1) ausdrücklich, dass der Leib Christi in diesem Sakrament (= der Eucharistie) weder definitive noch circumscriptive enthalten sei:
„Ad primum ergo dicendum quod corpus Christi non est in hoc sacramento definitive, quia sic non esset alibi quam in hoc altari ubi conficitur hoc sacramentum; cum tamen sit et in caelo in propria specie, et in multis aliis altaribus sub specie sacramenti. Similiter etiam patet quod non est in hoc sacramento circumscriptive, quia non est ibi secundum commensurationem propriae quantitatis, ut dictum est. Quod autem non est extra superficiem sacramenti, nec est in alia parte altaris, non pertinet ad hoc quod sit ibi definitive vel circumscriptive, sed ad hoc quod incoepit ibi esse per consecrationem et conversionem panis et vini, ut supra dictum est.“
Was aber vom Leib Christi gilt, muss a potiori auch vom unendlichen und allgegenwärtigen Gott gelten. Letzteres aber behauptet Joseph Ratzinger und bleibt damit meiner Meinung nach völlig im Rahmen der scholastischen Theologie.
Soweit mein (erster) kleiner Beitrag zur Frage, ob Joseph Ratzinger als junger Theologe die Realpräsenz vertreten hat oder nicht.
Die Diskussion ist eröffnet!